Digitales Erbe
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Die Welt lebt online. Allein in Europa bewegen sich mehr als 400 Millionen Menschen im Internet. Sie versenden Mails, chatten, bloggen, twittern, laden Fotos hoch oder gehen online einkaufen. Auch ältere Menschen nutzen das Internet. Doch was passiert mit den Daten eines Nutzers, wenn er stirbt?
Von: Hanni Heinrich
Wenn ein Mensch stirbt, sehen die Hinterbliebenen alles, was von seinem Leben übrig ist: Fotos, Notizen, Kleidung und Persönliches in Schubladen und Schränken, im Wohn- und Schlafzimmer. Wenn der Verstorbene viel Zeit im Internet verbracht hat, dann sind Überbleibsel seines Lebens auch im Internet zu finden. Der Traum vom ewigen Leben ist heute schon Wirklichkeit – aber eben nur virtuell. Im Netz lebt man weiter. Doch wer die Online-Daten Verstorbener verwalten und entfernen darf, ist bislang kaum geklärt.
Rechtsanwalt Carsten Ulbricht der Kanzlei Diem & Partner in Stuttgart ist auf Rechtsfragen im Netz spezialisiert. Auf die Frage, was mit digitalen Daten im Internet passiert, wenn der Nutzer nicht mehr lebt, sagt er aus Erfahrung: „Trotz zunehmender Vernetzung macht sich momentan kaum jemand darüber Gedanken.“ Wenn im Testament nichts anderes stehe, dann solle für digitale Daten Ähnliches gelten wie für Schriftstücke aus Papier: „Die gesetzlichen Erben übernehmen das Recht daran“, sagt der Anwalt. Ob E-Mails, Facebook-Eintragungen oder die Inhalte des Onlinebankings – all das geht in die Hände der Erben über. In vielen Fällen wissen die Erben gar nicht, wo überall im Netz der Verstorbene seine Spuren und Daten hinterlassen hat. Und selbst wenn sie es wüssten, bleibt das Problem: Wie sollten sie sich einloggen, wenn sie die Zugangsdaten nicht kennen? Bei verstorbenen Mitarbeitern ist es manchmal einfacher: In grossen Unternehmen kennt die IT-Abteilung in der Regel die Zugangsdaten. In Einzel- oder kleinen Familienunternehmen besteht jedoch die Gefahr, dass bei einem Todesfall wertvolle Geschäftsdaten verloren gehen.
Des einen Problem ist des anderen Geschäft: Birgit Janetzky aus Freiburg im Breisgau hat die Marktlücke rund um das digitale Erbe erkannt. Eigentlich ist sie Theologin und unterstützt seit mehr als zehn Jahren Trauernde. Wenn jemand die Bestattungsbranche mit all ihren Dienstleistungen rund um den Tod kennt, dann sie. Vor zwei Jahren, als sie ein paar eigene Einträge im Internet löschen wollte, merkte sie, wie schwierig das oft ist. Daher fragte sie sich: „Wenn das für Lebende schon so kompliziert ist, wie schwierig muss erst das Löschen digitaler Daten von Verstorbenen sein?“
Im Februar 2010 gründete Janetzky daher zusammen mit einem Informatiker die Firma Semno. Ihre Zielgruppe: Erben, die sich um den digitalen Nachlass eines Verstorbenen kümmern wollen, jedoch nicht wissen, welche Daten vorhanden und wichtig sind. „Angehörige können den Computer des Verstorbenen zu uns schicken. Wir machen eine Datenanalyse über die PC- und Internetnutzung“, erklärt Birgit Janetzky. Dadurch erhalten die Experten einen Überblick über Dateien, E-Mail-Konten, Netzwerkprofile und Kontakte. Findet sie es respektlos, ohne testamentarische Einwilligung im digitalen Umfeld eines Verstorbenen zu wühlen? „Manchmal können dabei auch unangenehme Dinge zum Vorschein kommen, etwa Opas heimliche Affären oder böse E-Mails, in denen Verwandte beschimpft werden. Aber auf der anderen Seite helfen wir, sodass wichtige Daten nicht verlorengehen.“ Das Wissen über den Verbleib solcher Informationen kann wertvoll sein. Etwa dann, wenn ausschliesslich digital vorliegende Verträge nicht gekündigt oder Rechnungen nicht beglichen werden konnten.
Jeden Tag entstehen im Internet neue digitale Schauplätze, und Menschen hinterlassen dort ihre Spuren. Manchmal kommt es sogar vor, dass Lebende einem Toten zum Geburtstag gratulieren, weil seine Geburtsdaten in einem sozialen Netzwerk stehen. Die Daten bleiben schliesslich, auch wenn der Mensch geht. Wer in einem sozialen Netzwerk angemeldet ist, ist unsterblich – so scheint es zumindest. Zu Lebzeiten kann man in den Einstellungen ziemlich alles regeln – nur eines nicht: was mit den Daten im Todesfall passieren soll. Je nach Community ist der Umgang mit diesem heiklen Thema unterschiedlich. Mal kümmert es den Betreiber nicht, wenn er vom Tod eines Mitglieds erfährt, mal wird ein Profil unsichtbar oder in einen sogenannten Trauerstatus geschaltet. In der Regel werden aber Profile und E-Mail-Konten nicht automatisch gelöscht. Angehörige und Hinterbliebene können bei den Anbietern neue Passwörter anfordern, um Zugang zu den Accounts des Verstorbenen zu erhalten – allerdings nur, wenn sie den Erbschein und die Sterbeurkunde vorlegen.
Die Verwaltung der digitalen Spuren von Verstorbenen ist noch kein grosses Geschäft. Aber einige Firmen setzen bereits auf diese Nische. In den USA gibt es eine Handvoll Firmen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Die Nutzer eines Internetdienstes können bei solchen Dienstleistern zum Beispiel ihre wichtigsten Passwörter und teilweise auch Dokumente verschlüsselt hinterlegen. Zugleich können sie bestimmen, wer im Todesfall welche Daten erhalten soll. E-Mail-Zugangsdaten, Onlinebanking-Daten, Geschäftsunterlagen und Fotos sollen auf diese Weise gesichert werden.
Im deutschsprachigen Raum gibt es wenige Onlinedienste dieser Art, Beispiele sind Idivus in Berlin oder Data Inherit in Zürich. „Dennoch sollten sich Nutzer gut überlegen, ob sie ihre Passwörter und andere sensible Daten einer externen Firma anvertrauen, die es vielleicht in wenigen Jahren nicht mehr geben wird“, sagt Anwalt Carsten Ulbricht. Sicherer und billiger sei es, in einem Testament unter anderem auch zu regeln, wer nach dem Tod Zugang zu welchen Daten bekommt und was damit geschehen soll.
Vorsorge für die Zeit nach dem Tod
Passwortverwaltung: Bei Anbietern wie www.legacylocker.com können Nutzer einen kostenpflichtigen Account eröffnen. Sie geben ihre Internet-Accounts plus Passwörter an und bestimmen, wer diese nach dem Tod erhalten soll.
Zettelmethode: Kostenlos und Virensicher geht die Vererbung der digitalen Daten per Stift und Papier – ganz altmodisch. Man muss nur seine Passwörter mit dazugehörigem Nutzernamen und die Adresse der Website aufschreiben und sicher verwahren.
Zombie-Service: Wer nicht nur Daten vererben, sondern auch seine Persönlichkeit für die Nachwelt konservieren möchte, kommt bei www.virtualeternity.com („virtuelle Unsterblichkeit“) auf seine Kosten. Auf der Webseite können Hinterbliebene einen digitalen Raum betreten. Dort treffen sie ein künstliches Abbild der Verstorbenen. Aus einem Foto, einer Stimmprobe und einem Persönlichkeitstest kreiert der amerikanische Betreiber der Seite ein virtuelles Ich. Zu Lebzeiten soll es reichlich mit Daten gefüttert werden, damit die Persönlichkeit nach dem Tod umso echter erscheint. Familie und Freunde können dann nach dem Tod mit der digitalen Imitation des Verstorbenen sprechen – am Computer, mit Bild und Stimme.
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