Schamanen-Medizin wirkt gegen «süsses Blut»
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Schamanen im Hochland Mexikos verschreiben gegen die Zuckerkrankheit traditionell zubereitete Heilpflanzen. Dass die Naturarzneien tatsächlich hochwirksam sind und zudem nur wenige Nebenwirkungen haben, konnten Forscher der Universität Bonn nach jahrelangen Feld- und Laborstudien bestätigen. In Mexiko soll jetzt eine Fabrik entstehen, die Anti-Diabetes- Kapseln auf pflanzlicher Basis produziert.
Die traditionellen Heiler (Schamanen) erkennen ihre Diabetes-Kranken am Geschmack: „Wenn der Patient die entsprechenden Symptome hat – starker Durst, Harndrang, Müdigkeit, Gewichtsverlust –, testet der Heiler, ob Blut oder Urin süsslich schmeckt“, erklärt Dr. Helmut Wiedenfeld. „Falls ja, steht die Diagnose fest.“ „Süsses Blut“ ist im mexikanischen Hochland keine Seltenheit: In manchen Dörfern seien acht von zehn Erwachsenen zuckerkrank, so der Bonner Phytochemiker. Als Grund vermuten Wissenschaftler Veranlagung und falsche Ernährung.
Testerfolg bei zuckerkranken Ratten
Traditionell setzen mexikanische Dorfärzte bei der Behandlung des Diabetes auf bestimmte Heilpflanzen. Zusammen mit seinen Mitarbeitern hat Dr. Wiedenfeld verschiedene Naturarzneien an zuckerkranken Ratten getestet. „Anfangs meist ohne jeden Erfolg“, erinnert sich der Pharma-Forscher. Bis sein Diplomand Ivan Pérez dem Schamanen des Hochland-Dorfes Xochipala mehrere Monate über die Schulter sehen durfte. „Der Schlüssel liegt häufig in der Zubereitung“, erklärt Dr. Wiedenfeld: Der Heiler von Xochipala versetzt die Arzneipflanze beispielsweise mit Mais oder anderen Zutaten und lässt die Mischung einige Zeit stehen. „Molekulare Scheren“ im Mais zerschneiden dabei Inhaltsstoffe der Anti-Diabetes-Pflanze in kleinere Bruchstücke. „Und eines dieser Bruchstücke wirkt gegen die Zuckerkrankheit.“ Schamanen-Medizin wirkt gegen «süsses Blut»
Agua de Uso
Der Heiler gewinnt aus dem Gemisch ein Getränk, das er „Agua de Uso“ nennt, Wasser zum täglichen Gebrauch. Einen halben Liter müssen seine Patienten pro Tag davon trinken. Inzwischen ist es den Wissenschaftlern gelungen, Kapseln mit der pulverförmigen Wirksubstanz herzustellen. Drei Kapseln enthalten so viel Wirkstoff wie 250 Gramm Pflanzenmaterial, das entspricht der täglichen Dosis. Inzwischen laufen die ersten klinischen Versuche. Eine Naturarznei-Firma hat bereits Interesse an dem neuen Bio-Medikament bekundet. Die erste Wirksamkeitsstudie wird bald der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorgestellt. Man denkt darüber nach, direkt vor Ort eine Produktionsanlage für Anti-Diabetes-Kapseln zu errichten. Die Bauern würden eine Abnahmegarantie für gesammelte oder angebaute Arzneipflanzen erhalten; ausserdem profitierten die Einheimischen von den neu geschaffenen Arbeitsplätzen.
Ein weit verbreitetes Problem
Die meisten Einheimischen leiden unter dem so genannten Typ-II- oder „nicht-insulinpflichtigen“ Diabetes. Früher nannte man diese Form auch „Altersdiabetes“; mittlerweile ist jedoch bekannt, dass der Typ-II-Diabetes bereits in jungen Jahren auftreten kann. Als Faktoren, die die Krankheit auslösen oder verschlimmern können, gelten kohlenhydrat- und fettreiche Ernährung bei gleichzeitigem Bewegungsmangel. Zur Behandlung werden in erster Linie synthetische Wirkstoffe eingesetzt, die jedoch Nebenwirkungen wie Übelkeit, allergische Reaktionen oder Veränderungen des Blutbildes hervorrufen können. „Ein Problem bei dieser Erkrankung ist meist die späte Diagnose: Da im frühen Stadium der Blutzuckerspiegel noch nicht so drastisch erhöht ist wie zum Beispiel beim Typ-I-Diabetes, fällt das bei Routineuntersuchungen nur selten auf“, erklärt Dr. Wiedenfeld. Zumal die Routinechecks meist in nüchternem Zustand und daher bei geringerer Blutzuckerkonzentration durchgeführt werden. Zu spät behandelt, drohen den Patienten dramatische Folgeschäden bis hin zur Erblindung oder dem Verlust von Gliedmassen. Das Wissen traditioneller Heiler könnte zur Lösung eines drängenden Problems beitragen: Bis zum Jahr 2025, so schätzt die Weltgesundheits-Organisation WHO, wird jeder siebte Mexikaner an Diabetes leiden – das wären knapp zwölf Millionen Betroffene.
Wie wichtig die richtige Ernährung ist, um die Entstehung eines Diabetes zu verhindern, wissen auch die traditionellen Heiler. „1993 wurde im Hochland von Mexiko ein neues Dorf entdeckt. Eine der ersten Errungenschaften der Zivilisation war ein bekanntes zuckerhaltiges Erfrischungsgetränk“, so der Pharmaforscher. Der Dorf-Schamane sieht den immensen Pro-Kopf-Verbrauch der süssen Brause kritisch. „Er empfiehlt seinen Diabetikern inzwischen, auf die zuckerfreie Light-Version umzusteigen.“
Der Artikel erschien im 'SCROGGIN-career' Ausgabe Nummer 1 und wurde zur Verfügung gestellt vom karriereführer naturwissenschaften |
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