Wirtschaftsfaktor Frau - Zwei Seiten einer Medaille
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Peter Löscher, Vorstandschef bei Siemens, urteilte in einem Interview mit der Financial Times 2008 einmal sehr selbstkritisch: „Unsere Spitzenmanager sind vorwiegend weisse deutsche Männer. Wir sind zu eindimensional.“ Für diese offene Selbsterkenntnis gebührt Herrn Löscher allergrösster Respekt. Immer noch viel zu selten erkennen und äussern Manager öffentlich, was zu einem echten Problem werden kann: monokulturelle Belegschaften.
Von: Melanie Vogel, women&work
Das Gesamtbild in der Wirtschaft hat sich – wenn überhaupt – seit dem Zeitpunkt des Interviews 2008 nur marginal geändert. In den deutschsprachigen Konzernen in der Schweiz, in Deutschland und Österreich dominiert nach wie vor der weisse Mann Mitte fünfzig das Top-Management. Frauen? Fehlanzeige! In dem globalen Umfeld, in dem wir agieren, kann diese Eindimensionalität allerdings sehr schnell zum Wettbewerbsnachteil werden.
Überlegen Sie einmal sehr selbstkritisch, ob homogene Gruppen in der Lage sind,
- sich in die Befindlichkeiten und Bedürfnisse von verschiedenen Zielgruppen hineinzuversetzen,
- andere Menschengruppen überhaupt bewusst als Zielgruppen ins Auge zu fassen,
- bestehende oder neue Produkte an verschiedene Zielgruppen anzupassen.
Aus rein menschlicher Sicht ist die Wahrscheinlichkeit gering. Die Tatsache an sich ist kein Makel. Zum Problem wird es, wenn Unternehmen nicht entsprechend gegensteuern und die wirtschaftliche Notwendigkeit erkennen, Teams divers aufzustellen.
Um neue Ideen generieren, Prozesse optimieren oder Servicedienstleistungen implementieren zu können, benötigen Teams verschiedene Sichtweisen auf unterschiedliche Problemstellungen. Der weisse Mann Mitte fünfzig hat im Regelfall ganz natürliche Schwierigkeiten, sich in die Befindlichkeiten der Generation Y hineinzudenken. Wer noch nie eines der Länder der Emerging Markets besucht und auch keinen Kontakt zu Menschen aus diesen Teilen der Welt hatte, wird den wirtschaftlichen Hunger und Ehrgeiz dieser Menschen nicht verstehen. Wer die Alltagsherausforderungen alleinerziehender Mütter nicht am eigenen Leib erfahren hat, wird ihre Herkules-Aufgabe der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nie wirklich wertschätzen können.
Homogenität führt in die Sackgasse, denn Monokulturen scheitern aus drei Gründen:
1. Monokulturelle Teams haben einen eingeschränkten Beobachtungsbereich. Ihnen fehlen unterschiedliche Blickrichtungen auf Probleme, Ideen und Produkte.
2. Monokulturelle Teams haben ähnliche Routinen und Verhaltensmuster und nehmen Dinge daher nur eingeschränkt wahr.
3. Monokulturelle Teams zeichnen sich durch ähnliche Denkstrukturen aus.
In einer Zeit, in der Wandlungsfähigkeit über die Zukunft von Unternehmen entscheidet und in der der globale Wettbewerbsdruck zunimmt, ist eine vielfältige Belegschaft die elementare Grundvoraussetzung für die Zukunftssicherung des eigenen Unternehmens. Eine vielfältige Belegschaft bietet den Nährboden für Innovationen, denn je grösser der Reichtum an Lebenseinstellungen, Kenntnissen und Erfahrungen innerhalb der Belegschaft ist, desto grösser ist das (kreative) Potenzial, das eine Firma entfalten kann.
Decken Unternehmen innerhalb der Mitarbeiter nicht die gesamte Bandbreite der Bevölkerung ab – sei es in Bezug auf Alter, Herkunft, Religion oder Geschlecht –, wächst folglich die Gefahr, dass Innovationspotenzial unentdeckt bleibt und Produkte an den Zielgruppenbedürfnissen vorbei entwickelt werden.
Ein hervorragendes Beispiel dafür liefert die Firma Haribo. „Haribo macht Kinder froh – und Erwachsene ebenso“ ist der Werbeslogan, der schon seit Jahrzehnten den Verkauf der kunterbunten Goldbären ankurbeln soll – und das bis heute auch sehr erfolgreich tut. Aber: Machte die Firma wirklich alle Kinder froh?
Taucht man in die Produktspezifikation der putzigen Gummibärchen ein, stösst man sehr schnell auf die Hauptzutat der Süssigkeit: Gelatine. Gelatine wird hierzulande im Regelfall aus dem Bindegewebe von Schweinen hergestellt. Nun haben wir in unserer christlichen Werte-Gesellschaft kein Problem mit dem Verzehr von Schweinefleisch. Wohl aber unsere muslimischen Mitbürger, denen es strikt untersagt ist, Produkte vom Schwein zu verzehren. Mit den damals bestehenden Goldbären-Produkten schloss HARIBO konsequent also die Zielgruppe der muslimischen Kinder und Erwachsenen aus. Offensichtlich gab es im Unternehmen jemanden, der dieses Problem erkannt hat. 2001 kamen die Gummibärchen nämlich erstmals als Halal-Produkt auf den Markt: Anstelle der Gelatine vom Schwein wurde nun Gelatine vom Rind verwendet. Farbe, Aussehen und Verpackung blieben gleich.
Haribos Entscheidung, eine Produktkomponente zu verändern, um tatsächlich „alle Kinder froh“ zu machen, war sicherlich keine altruistische – auch wenn es schön wäre, das anzunehmen. Vielmehr dürfte dahinter betriebswirtschaftliches Kalkül gesteckt haben. Mit der Veränderung nur einer einzigen Produktkomponente konnten Halal-Gummibärchen nämlich nun zusätzlich in weiteren 46 Ländern vertrieben werden. Die potenzielle Käuferzielgruppe wuchs quasi über Nacht um geschätzte 1,6 Milliarden Menschen.
Ob der Süsswarenhersteller die muslimischen Märkte erobert hat, kann nur er selbst beantworten – aber an dem Beispiel wird klar, dass es wirtschaftlich sehr interessant sein kann, Produkte unter verschiedenen Diversity-Gesichtspunkten zu betrachten. „Wo alle dasselbe denken, wird nicht viel gedacht“, sagte Karl Valentin einst – und hat damit das Problem von Homogenität perfekt auf den Punkt gebracht. Nicht-Denken oder Denken nur in eine Richtung hat wirtschaftliche Folgen.
Der Hersteller einer Kleinbildkamera warb vor einigen Jahren in der Schweiz mit dem Slogan „Sicher nichts für Frauenhände. Ausser beim Einpacken ins Geschenkpapier.“ Unabhängig von der Tatsache, dass es zum Wohle der Geschlechtergerechtigkeit einen ähnlich kontrovers-provokanten Werbeslogan unter die Gürtellinie der Männer gab, ist die Entscheidung, eine solche Werbekampagne zu lancieren, unter dem wirtschaftlichen Aspekt von Diversity als fatal zu bezeichnen.
Denn wer hegt innerhalb der Familien immer noch Familientraditionen? Wer übernimmt die Pflege der Familienchronik? Wer hält Familienfeste, Urlaube und die ersten Gehversuche vom Nachwuchs in Bildern fest? Im Regelfall sind das die Frauen – also genau die Käufer-Zielgruppe, der durch die Werbekampagne deutlich die Kompetenz abgesprochen wurde, eben diese Kleinbildkamera überhaupt bedienen zu können.
Die Zeitschrift „The Economist“ veröffentlichte vor einiger Zeit das Zitat: „Vergessen Sie Indien. Vergessen Sie China. Haben Sie Respekt vor der grössten Weltmacht: den Frauen.“ Frauen stellen weltweit geschätzte 50 Prozent der Gesamtbevölkerung dar. Aus rein wirtschaftlicher Sicht macht es überhaupt keinen Sinn, den „Wirtschaftsfaktor Frau“ zu unterschätzen oder aus ökonomischen Top-Entscheidungen herauszuhalten. Das bestätigen renommierte Studien weltweit:
- Catalyst ermittelte bei einer Analyse der 500 grössten börsennotierten Unternehmen in den USA eine bis zu 53 Prozent höhere Eigenkapitalrendite bei Unternehmen mit Frauen an der Führungsspitze.
- Die Vereinten Nationen fanden heraus, dass Grossfirmen mit weiblichen Vorständen 42 Prozent höhere Verkaufsgewinne und deutlich bessere Renditen aus Investitionen erzielen.
- Die Unternehmensberatung Ernst & Young bestätigte diese Ergebnisse 2012: Unternehmen mit weiblichen Vorstandsmitgliedern haben sich im Zeitraum 2005 bis 2010 bei den Kennziffern „Umsatz“, „Gewinn“ und „Börsenwert“ deutlich besser entwickelt als Unternehmen ohne weibliche Vorstandsmitglieder.
- Die Studie „Women Matter“ der Unternehmensberatung McKinsey belegt, dass Firmen mit einem hohen Frauenanteil im Vorstand um 48 Prozent höhere Gewinne erwirtschaften als der Branchendurchschnitt.
Je stärker Frauen in Unternehmensentscheidungen eingebunden werden, umso vielfältiger ist der Ideenpool, aus dem geschöpft werden kann. Diversity-Management und Innovationfähigkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Frauen liefern ein enormes Potenzial an Ideen, Kreativität und Innovationskraft und tragen entscheidend zur Wertschöpfung in den Unternehmen bei. Die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft und eines jeden Unternehmens hängt nicht nur von den Frauen ab – aber Frauen spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, das gesamte Innovationspotenzial einer Gesellschaft zu nutzen. Denn das ist zur Hälfte weiblich.
Personelle Vielfalt ist unbestritten ein ökonomischer Erfolgsfaktor. Gerade aus den Unterschieden im Denken und Handeln entsteht Kreativität und Innovation. Und Innovation ist die Grundlage für höhere Effektivität und nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg. Unternehmen, die das nicht erkennen oder nachhaltig ignorieren, werden nicht nur im Kampf um die Talente, sondern auch im Kampf um die globale Wettbewerbsfähigkeit das Nachsehen haben.
Über Melanie Vogel:
Melanie Vogel ist Deutschlands erster weiblicher Innovation-Coach und Geschäftsführerin der AoN – Agentur ohne Namen GmbH. Ziel der Agentur ist es, in den Unternehmen das maximale Innovationspotenzial freisetzen durch die Förderung von Vielfalt innerhalb der Belegschaft, durch eine zielbezogene Führung und durch eine Unternehmenskultur, die die Potenziale und Talente eines jeden Mitarbeiters gewinnbringend einsetzt und damit die Kreativität und Wertschöpfung des gesamten Unternehmens stärkt. Als Initiatorin der women&work, Deutschlands grösstem Messe-Kongress für Frauen, wurde die AoN 2012 mit dem Innovationspreis „Land der Ideen“ ausgezeichnet.
Der Artikel erschien im 'SCROGGIN-career' Ausgabe Nummer 10 - 2013.
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