Was ist Mentoring?
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Er erzählt von seinen Erfahrungen und er hört sich geduldig Fragen an. Er berät und unterstützt, er fördert und ermutigt. Die Rede ist nicht von einem Vater oder einem Lehrer. Sondern von einem Mentor.
Von: Angelika Imhof
Während Odysseus die Weltmeere umschiffte, fungierte sein Freund „Mentor“ als Erzieher und Ratgeber von dessen Sohn Telemach. Odysseus und seine Abenteuer sind nur noch präsent, wenn über griechische Mythologie gesprochen wird, der Begriff „Mentor“ jedoch hat sich bis in die heutige Zeit erhalten. Grundsätzlich ist ein Mentor eine erfahrene Person, die ihr fachliches Wissen mit einem unerfahreneren Mentee teilt. Genau diese Konstellation gibt es im heutigen Schweizer Hochschulwesen immer häufiger, und die sogenannten Mentoring-Programme, die an vielen Universitäten und Hochschulen angeboten werden, erfreuen sich hoher Beliebtheit.
Die Vielfalt der diversen Mentoring-Programme in der Schweiz ist gross. Die Universitäten von Lugano, Bern, Basel, Luzern, Genf, St. Gallen und Zürich bieten derzeit allesamt mindestens ein eigenes Mentoring-Programm an. Besonders breit ist das Angebot an der Universität Bern mit sechs verschiedenen Programmen. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei verschiedenen Typen von Mentoring-Programmen: Es gibt einerseits jene, die der Förderung der akademischen Karriere dienen, und andererseits solche, die darauf abzielen, Studienabgängern den Einstieg in die Berufswelt fernab von der Universität zu erleichtern. Des Weiteren gibt es einige Kooperationsprogramme von verschiedenen Universitäten. Eines davon nennt sich „Mentoring Deutschschweiz“, das als Kooperationsprojekt aller Deutschschweizer Universitäten und der Università della Svizzera italiana fungiert. Das Programm richtet sich ausschliesslich an Frauen in der Postdoktorats- und der fortgeschrittenen Doktoratsphase, die eine akademische Karriere anstreben. Diese Mentoring-Programme für Frauen seien konzipiert worden, um die Chancengleichheit bei akademischen Karrieren zu fördern, erklärt Julia Grünenfelder, Programmkoordinatorin von Mentoring Deutschschweiz. Denn obwohl seit einigen Jahren prozentual mehr Frauen als Männer studieren, arbeiten heute nur 18 Prozent Professorinnen, jedoch 82 Prozent Professoren an Schweizer Universitäten – im Jahr 1999 waren es sogar nur sieben Prozent Frauen. Durch entsprechende Massnahmen, unter anderem eben die Mentoring-Programme, sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Frauen und Männern gleichermassen akademische Karrieren ermöglichen. Diese umfassen beispielsweise den Austausch zu informellem Wissen über die Wissenschaft und den Ausbau von Netzwerken.
Der effektive Erfolg von Mentoring-Programmen lasse sich aber schwer in Zahlen messen, so Grünenfelder. Viele Mentees geben allerdings an, dass ihnen das Programm konkret für die Umsetzung weiterer Karriereschritte geholfen hat. Zudem spricht die Nachfrage für ein grosses Interesse an Mentoring-Programmen, insbesondere an jenem von Mentoring Deutschschweiz. Für das siebte Programm, das derzeit läuft, gingen 88 Bewerbungen ein, wovon 33 eine Zusage erhielten. Mehr Plätze sind nicht zu vergeben, da die Rahmenbedingungen gewisse Grenzen setzen, insbesondere im Hinblick auf die Finanzierung.
Mentoring kann in ganz unterschiedlichen Formen stattfinden. Die geläufigste Form ist das One-to-one-Mentoring, bei dem eine Mentorin oder ein Mentor einen einzigen Mentee betreut. Des Weiteren gibt es sogenanntes Gruppenmentoring: Hier teilen mehrere Mentees in einer Gruppe einen Mentor. Die dritte Form ist das Peer-Mentoring, bei dem sich Personen auf gleicher Stufe zusammenschliessen und gegenseitig beraten.
Ein klassischer Ablauf einer One-to-one-Mentoringbeziehung sieht im Programm Mentoring Deutschschweiz etwa wie folgt aus: Die beiden Parteien stellen sich am Anfang der zweijährigen Beziehung einander vor, informieren sich über vorhandene Ressourcen und vereinbaren zu erreichende Ziele. Inhalt der Gespräche sind sowohl konkrete Sachverhalte, zum Beispiel wie das Planen und Schreiben von Projekteingaben oder das Führen einer gelungenen Podiumsdiskussion, als auch zukunftsgewandtere Fragen, zum Beispiel, welche Zukunftsperspektiven der Mentee in der Wissenschaft hat oder wie Wissenschaft und Familie zu vereinbaren sind.
Ein etwas anderes Angebot von Mentoring findet sich an der Universität St.Gallen (HSG): Die Studierenden verbinden sich mit Mentoren und Mentorinnen aus Politik, Wirtschaft, Medien, Kunst, Kultur und Wissenschaft. Dadurch wird das Studium praxisorientierter. Jonas Best, Bachelorabsolvent der HSG, , hat zwei Jahre lang an diesem Mentoring-Programm für Studenten teilgenommen. Da seine Eltern nicht in einem seiner potenziellen zukünftigen Berufsfelder aktiv sind, sah er es als gute Gelegenheit, durch einen Mentor hilfreiche Branchentipps und interessante Einblicke in das Geschäftsleben zu erlangen. Auf Wunsch von beiden Seiten wurde die Beziehung zu seinem Mentor auf einer freundschaftlichen, informellen Ebene geführt. Wie die Beziehung gestaltet wird, sei sehr frei, so der jetzige Masterstudent. Die Universität St. Gallen schaffe zwar die nötigen Rahmenbedingungen, doch wie diese genutzt werden, sei den Mentoren und Mentees selbst überlassen. Die einzige offizielle Verpflichtung besteht in dem Schreiben eines Mentoringberichts zum Ende eines jeden Semesters, in dem der Mentee sein Studium reflektiert. Der 25-jährige Basler behält das Mentoring-Programm in bester Erinnerung und kann es jedem weiterempfehlen. Obwohl das Programm nun geendet hat, steht er mit seinem Mentor immer noch regelmässig in Kontakt. Ausserdem werden jedes Jahr alle ehemaligen Mentees und der oder die aktuelle Mentee zu einem gemeinsamen Mentoringanlass eingeladen. Sein Mentor steht ihm bei Bedarf noch immer mit Rat und Tat zur Seite, wie Jonas Best berichtet – und er habe zudem bis heute keinen seiner Geburtstage vergessen, wie er lachend hinzufügt.
Ob für Frauen oder Männer, für Studentinnen oder Doktorandn, ob informell oder fachspezifisch – Mentoring-Programme sind eine Bereicherung. Sowohl für den Mentee als auch für den Mentor.
Dieser Artikel erschien im 'SCROGGIN-career' Ausgabe 11 - 2013.
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