Wahrnehmungskomplexe und Fixation
Effizienzsteigerung in Form von Speed Reading ist ein überaus vieldiskutiertes Thema. Klar, wenn man bedenkt, wie unglaublich viel Zeit man sparen kann oder wie viel mehr man in der gleichen Zeit machen kann. Viele Gesichtspunkte der verschiedenen Methoden stehen im Widerspruch zueinander und welcher der effektivste ist, ist wissenschaftlich umstritten. Ich kann nur empfehlen, sich mit den verschiedenen Methoden auseinanderzusetzen und sie auszuprobieren. Welche Speed Reading Methode sich für dich am besten eignet, wird sich sehr schnell zeigen.
Von: Sebastian
Ein wesentlicher Punkt, der fast nie erwähnt wird: Speed Reading ist eine rein motorische Fähigkeit. Was uns das bringt? Leistungsniveaus motorischer Fähigkeiten entscheiden sich hauptsächlich durch Übung. Du musst also kein Intelligenzbolzen sein, um eine absolut überdurchschnittliche Lesegeschwindigkeit zu erreichen. In der Folge wird dir eine Übung gezeigt, welche die Basis für weitere Übungen ist.
Grundsätzlich geht es darum, wesentliche Grundsätze des menschlichen Visualsystems zu verstehen und seine Ineffizienzen abzuschaffen. Die grossen Themen lauten hier Fixation und peripheres Sehen.
Fixation
Du musst dir deinen Leserythmus nicht als gerade Linie, sondern vielmehr als eine Serie von Sprüngen vorstellen. Am Ende jedes Sprunges folgt eine Fixation, eine Momentaufnahme des Textes in deinem Fokusbereich (normalerweise hat der Fokusbereich ungefähr die Grösse einer 2-Euro-Münze). Beim Lesen von unbekannten Texten dauert jede Fixation zwischen einer viertel und einer halben Sekunde. Du kannst deine Lesesprünge sogar spüren: schliess ein Auge und lege deinen Zeigefinger auf das Lid des offenen Auges. Scan jetzt langsam eine horizontale Linie in der Ferne, oder lies eine Textzeile. Du wirst deutlich einzelne Bewegungen und Fixationsphasen spüren. Dein Ziel ist das Verringern der Anzahl von Fixationen und der Fixationsdauer.
Zum Ablauf: Du wirst erst mehr über die Methoden erfahren, dann die Anwendung der Methoden üben und erst dann lernen, schneller zu lesen und den Inhalt zu verstehen. Lesegeschwindigkeit und Leseverständnis solltest du zu diesem Zeitpunkt noch völlig getrennt sehen. Mach dir keine Sorgen um das Textverständnis, erst geht es darum, den motorischen Ablauf der Lesegeschwindigkeit einzuüben. Die Reihenfolge ist: Methode verstehen, Methode üben, Methode und Methodenvertändnis – also eins nach dem anderen. Generell wird empfohlen die Methode in der doppelten bis dreifachen Geschwindigkeit zu üben, mit der du später lesen möchtest. Wenn du z.B. 400-600 Wörter pro Minute lesen möchtest, übe die Methode mit 1200-1800 WpM (Wörter pro Minute).
Baseline
Wie immer steht vor jeder Übung der Test deiner jetzigen Reading Speed. Solltest du diese bereits herausgefunden haben, kannst du diesen Abschnitt überspringen. Ist die Ermittlung bereits einige Zeit her, empfehle ich den Test nochmals zu machen, die Ergebnisse können überraschend ausfallen.
Um deine Reading Speed zu ermitteln, nimm dir ein Übungsbuch zur Hand (es sollte flach auf dem Tisch liegen) und zähl die Wörter der ersten 5 Zeilen. Teil die Anzahl der Wörter durch die Anzahl der Zeile und du erhältst die durchschnittlichen Wörter pro Zeile.
Beispiel: 75 Wörter / 5 Zeilen =15 WpZ
Zähle als nächstes die Zeilen der nächsten 5 Seiten und ermittle die durchschnittliche Zeilenanzahl pro Seite. Multipliziere diesen Faktor mit der durchschnittlichen WpZ und du erhältst die durchschnittlichen Wörter pro Seite.
Bespiel: 164 Zeilen / 5 Seiten = 32,8 ; gerundet auf 33 pro Seite mal 15 Wörtern pro Zeile macht durchschnittlich 495 Wörter pro Seite.
Lies nun eine Minute lang mit normalem Tempo, damit du den Inhalt verstehst. Multipliziere nach einer Minute die gelesenen Zeilen mit den durchschnittlichen Wörtern pro Zeile und du hast deine aktuelle Lesegeschwindigkeit ermittelt.
Technik
Länge und Häufigkeit von Fixationen können durch den Gebrauch eines “Trackers” reduziert werden. Als Tracker kann von Finger bis Stift alles benutzt werden. Wichtig ist jedoch, dass für diese Übung kein Lineal benutzt wird, da es wesentlich ist, den Tracker von links nach rechts und nicht von oben nach unten mitzubewegen. Bewege den Tracker beim Lesen in gleichmässigem Tempo mit. Der Sinn dahinter ist, deine Fixationen zu führen und zu kontrollieren. Führe den Tracker in deiner dominanten Hand und fahre ihn unter der zu lesenden Zeile lang. Hierbei ist es wichtig, deine Augenfixation immer über der Stiftspitze zu halten. Das gleichmässige Unterstreichen der Zeile dient zum einen zur Kontrolle der Fixationen, zum anderen als Temporegler für gleichmässiges und schnelles Scannen der Zeile. Man kann den Stift wie bei der Schreibbewegung mitführen, jedoch empfehle ich, ihn unter der Zeile mitzuführen. Mit einem Tracker Gleichmässigkeit einzubringen hat noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Es verhindert Zurückspringen (falsche Fixationspunkte) im Text und wiederholtes Lesen. Die meisten Leser springen unbewusst im Text zurück. Meist ist es absolut unnötig und kann bis zu 30% der totalen Lesezeit in Anspruch nehmen.
Zur Übung:
1. Technik (2 Minuten)
Trainiere, den Stift als Tracker und Temporegler zu benutzen. Führe den Stift unter jeder Zeile mit und fixiere deinen Blick stets über der Stiftspitze. Mach dir keine Sorgen um Inhaltsverständnis! Das kommt später. Scanne auf diese Weise jede Zeile in maximal einer Sekunde, versuche dabei dein Tempo stets zu erhöhen. Nochmals: Im gleichmässigen Tempo lesen, auf keinen Fall mehr als eine Sekunde pro Zeile, ohne zurückzuspringen!
2. Tempo (3 Minuten)
Wiederhole die Übung, diesmal mit nicht mehr als einer halben Sekunde pro Zeile. Richtig, zwei Zeilen für ein ausgesprochenes „hunderteinundzwanzig“. Die meisten Menschen verstehen bei dieser Geschwindigkeit nichts vom Text. Verständnis ist aber nicht Ziel dieser Übung sondern der nächsten. Behalte die Geschwindigkeit 3 Minuten lang bei. Es geht um die Programmierung deiner Wahrnehmungsreflexe und dies ist eine Übung, die Anpassung deines visuellen Systems zu erleichtern. Konzentriere dich auf die Stelle über der Stiftspitze und auf die Technik. Verringere nicht das Tempo und konzentriere dich darauf, nicht gedanklich abzudriften. Brummt die Birne? Völlig normal. Deine Wahrnehmungsreflexe werden wahrscheinlich zum ersten Mal in deinem Leben bewusst trainiert. Das ist aber nur die erste Hälfte der Übung. Nun muss noch die Ausweitung deiner Wahrnehmungsspanne trainiert werden, bevor es dann an das Verständnis geht. Wie die Wahrnehmungsspanne trainiert werden kann findest du unten im Link „Erweiterung der Wahrnehmungsspanne“.
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