Herausforderung Völkerrecht
|
Völkerrechtler sind oftmals wahre Idealisten. Das müssen sie auch sein, denn der Beruf verlangt einiges von ihnen ab. Flurina Duenki erklärt, worauf es bei der Bewerbung um einen Job im Völkerrecht ankommt.
Von: Flurina Duenki
Studierende des Völkerrechts werden bereits gemerkt haben, dass der Horizont dieses Fachbereichs bis ins Unendliche reicht. Wer sich für eiine Spezialisierung im Völkerrecht interessiert, sollte also seinen Horizont ausdehnen. Ich umgehe ganz bewusst den Terminus "Karriere im Völkerrecht", da er in Verbindung mit dem Völkerrecht etwas fraglich klingt: Eine Position im komfortablen Lehnstuhl im 20. Stock des New Yorker UNO-Gebäudes sollte schliesslich nicht das primäre Ziel sein. Gegenstand des Völkerrechts sind vielmehr Phänomene wie extreme Armut, bewaffnete Konflikte, Lebensmittelknappheit, Straflosigkeit und unzählige weitere Elendsfaktoren, von denen man nicht erwarten sollte, dass sie einen reich machen.
Die ersten Schritte
Selbst wer zahlreiche Bücher und Dokumentarfilme zum Thema Völkerrecht verschlungen hat, darf nicht davon ausgehen, dass er über das Thema umfassend Bescheid weiss. Horizontausdehnung wurde bereits als Schlagwort genannt – genauer: der Ruf nach Erfahrung am eigenen Leib. Arbeitgeber für Völkerrechtler verlangen Erfahrung auf dem entsprechenden Gebiet, auch von frischen Studienabgängern. Ihre Auswahl an Kandidaten ist in der Regel gross, und viele von ihnen werden während des Studiums bereits Erfahrung gesammelt haben. Das Opfern eines Semesters oder der Semesterferien für diesen Zweck zahlt sich allemal aus. Die gute Nachricht: Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich die erforderlichen Erfahrungen anzueignen. So bieten die meisten internationalen Organisationen in Genf Internships für Studenten an. Doch auch weniger populäre Organisationen als die UNO bieten Praktika an. Und es schadet nie, über die Landesgrenzen hinauszuschauen. Weshalb nicht ein Praktikum in Brüssel, Wien oder Madrid Absolvieren? Die Sprachbarriere sollte dabei niemanden abschrecken, denn die Völkerrechts- Absolventen müssen sich ohnehin darauf einstellen, in mehreren Sprachen zu arbeiten.
Sehr wertvoll für den Lebenslauf, aber auch für die persönliche Entwicklung sind Praktika direkt in den Entwicklungsländern. Ob Nigeria, Indien oder Honduras – nichts ersetzt das Erlebnis, direkt mit Entwicklungsproblemen konfrontiert zu werden. Zahlreiche darauf spezialisierte Anbieter vermitteln Praktika, wobei hier mit einem kritischen Auge ausgewählt werden muss: Die Angebote reichen vom seriösen Praktikum über Abenteuertrips bis hin zu Gruppenferien mit ein paar Stunden Praxis – und nicht selten werden horrende Vermittlungsgebühren verlangt. Eine intensive Suche nach fairen Konditionen ist daher empfohlen. Die individuelle Suche nach Praktika-Anbietern kann abenteuerlich sein, ist aber durchaus machbar. Im Internet finden sich Listen von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen (NGO) in verschiedenen Ländern, die man systematisch auf Möglichkeiten für ein Praktikum prüfen kann. Etwas Ausdauer und Hartnäckigkeit ist dabei geboten, denn auf eine Mail bekommt man leider nur selten eine Antwort. Wer seine Telefonkosten schonen will, kann sich eine VoIP-Software wie zum Beispiel Skype auf den Rechner laden.
Keine falschen Erwartungen
Bei der Suche nach einem Praktikum wird zwangsläufig eine weitere Horizontwerweiterung notwendig, die auf die Erkenntnis folgt, dass andere Länder meist anders funktionieren als die Schweiz. Am meisten ernüchtern dürfte die Tatsache, dass beihnahe sämtliche Praktika unbezahlt sind. Praktikanten bekommen nicht nur kein Gehalt, sondern benötigen zusätzlich finanzielle Mittel für Unterkunft, Transport etc. Um dieses Vorhaben zu finanzieren, lohnt es sich durchaus, im Vorfeld drei langweiligen Studentenjobs gleichzeitig nachzugehen. Denn der Einsatz im Ausland öffnet in Zukunft die Türen zu interessanten Arbeitgebern. Ausserdem erleichtert er die Entscheidung, ob der Sektor Völkerrecht tatsächlich das Wunschgebiet ist.
Bei der Bewerbung ist auf einige Dinge zu achten: Der Lebenslauf muss auf internationale Verhältnisse umgeschrieben werden. Am besten lädt man sich dazu einen Musterlebenslauf der EU aus dem Internet und füllt ihn in den entsprechenden Ländersprachen aus. Man darf nicht erwarten, dass eine NGO in Ecuador den Lebenslauf auf Englisch lesen kann. Zudem darf man bei der Bewerbung und später auch beim Praktikum selbst keine Schweizer Verhältnisse erwarten: Global gesehen sind unsere Einstellungen und Verhaltensweisen eher die Ausnahme – nicht umgekehrt. So wird man auf NGOs treffen, die einem ein Praktikum zusagen, sich danach aber nicht mehr melden; solche, die keine Arbeit für den Praktikanten vorbereitet haben oder überhaupt vergessen haben, dass er an einem bestimmten Tag ankommt. Die Behausung ist je nach Ort dürftig, Wasser gibt es unter Umständen nur stundenweise pro Tag, von der Qualität ganz zu schweigen, und die Toilette hat nur selten eine Spülfunktion. Schliesslich muss man sich darauf einstellen, mit höherer Kriminalität konfrontiert zu werden, also niemandem zu trauen, kein Bargeld spazierenzuführen und keine Ringe zu tragen, sofern man auf seine Finger Wert legt.
Der erste Job
Dies alles zeigt: Völkerrecht ist nichts für Weicheier. Bei Bewerbungsgesprächen und Assessments versuchen einige Arbeitgeber jedoch, vor allem Frauen auf ein solches zu reduzieren. Den Eindruck, den Bewerber vermitteln sollten, lautet also; tough, aber menschlich. Aus eigener Erfahrung kann ich jedoch auch versichern, dass es die Möglichkeiten schmälert, wenn man sich ausschliesslich furchtlos gibt. Hat man die Suche nach einem Praktikum bereits als Herausforderung empfunden, wird es bei der Arbeitssuche nach Studiumsabschluss sicherlich nicht leichter werden. (Ausgeschriebene) Stellen sind rar, Bewerber gibt es zuhauf, und die Anforderungen sind hoch. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), eine der populärsten Anbieterinnen von Praktika und Traineeships für Studienabgänger, schreibt nur alle anderthalb Jahre Stellen aus. Wer geglaubt hat, nur in seinem Studentenpraktikum «untendurch» zu müssen, hat sich geirrt. Weitere Jahre Erfahrungen müssen erarbeitet werden, bis man auf dem Völkerrechtsparkett überhaupt beachtet wird – und bei den Jobs darf man nicht wählerisch sein. Viel Geduld und Einfallsreichtum sind daher Eigenschaften, die sich Absolventen besser früher als später zulegen. Ein niedriger Lohn darf nicht abschrecken, denn ein solcher ist nun mal das Los von Völkerrechtsfrischlingen. Ein kleiner Trost besteht darin, dass man sich dadurch besser in die Bevölkerungsgruppen hineindenken und ihre Sorgen nachvollziehen kann und eine weitere unbezahlbare Erfahrung macht.
Hat man schon während des Studiums über die Schweizer Grenzen hinausgespäht, kann man hier anknüpfen, Kontakte aus Zeiten des Praktikums auffrischen und neue knüpfen. In die Pflege von professionellen Beziehungen sollte man ebenso Zeit investieren wie in das Informieren über aktuelle internationale Situationen und das eigene Verständnis dafür. Oft wird der Bewerber bei Vorstellungsterminen auf sein Wissen hin geprüft. Auch die familiäre Situation leidet nicht selten durch den Entschluss der Spezialisierung auf eine internationale Arbeit. Familie und Freunde sind meist nicht mit den Arbeitsbedingungen vertraut und zeigen oft kein Verständis für den unterbezahlten Job ohne Managementaussichten. Die Beziehung zum Liebsten dürfte ebenfalls leiden, wenn man sich geographisch in unterschiedlichen Gebieten bewegt. Kaum einer wird es sich leisten können, seinen Partner mit seinem mageren Gehalt mit durchzubringen. Der Traumjob fordert also seine Opfer. Dafür kann man vielleicht mit seiner Arbeit woanders ein paar Opfer vermeiden.
Linktipps:
www.idealist.org
www.devdir.org
www.un.org
|
- Anmelden oder Registrieren um Kommentare zu schreiben