Machen Titel Leute?
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Wohlklingende Titel sind in der Schweiz zu Tausenden zu erwerben: so viele Abschlüsse – so wenig Übersicht. Braucht die Schweiz mehr «Bildungs-Regulierung»? Welche Weiterbildung lohnt sich? Was geniesst Anerkennung? Und wie steht es mit dem lieben Geld?
Von: Claude Meier, Delegierter Bildungspolitik beim Kaufmännischen Verband Schweiz
Wer vor Weiterbildungsentscheiden steht, sieht sich mit einem ausgesprochen unübersichtlichen Dschungel konfrontiert. Laufend schiessen neue Bildungsgänge aus dem Boden, der Titelwirrwarr ist gross und es ist nicht alles Gold, was im Weiterbildungsmarketing so glänzend daherkommt. Von Überblick kann schon lange keine Rede mehr sein und man läuft Gefahr, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen. Dagegen hilft schon die Orientierung an wenigen Grundüberlegungen. Bildungsinvestitionen sollen rentieren. Wert kann dabei nur entwickeln, was die Praxis auch tatsächlich nachfragt: für Arbeitnehmer/innen, die ihre beruflichen Kompetenzen festigen oder den Grundstein für ihren nächsten Laufbahnschritt legen möchten genauso wie für Unternehmen, die ihre Position am Markt auch über Weiterbildungsmassnahmen stärken wollen.
Sichere Werte gefragt.
Verlässlich sind dabei eidgenössisch anerkannte Abschlüsse, vor allem die geschützten Titel der Höheren Berufsbildung: Fachausweise (Berufsprüfung) und Diplome (Höhere Fachprüfung und Höhere Fachschule). Ihre Qualifikationen werden direkt von den Verbänden und Branchenorganisationen definiert und auf die aktuellen Anforderungen im Arbeitsmarkt hin ausgerichtet. Wer diesen Weg wählt, ist beruflich am Puls der Zeit und kann sich darauf verlassen, dass die Abschlüsse in der Branche verstanden werden. Die Hochschultitel nach dem Bologna-System (Bachelor, Master) sind sowohl eidg. wie auch international anerkannt, doch schon bei der Weiterbildung beginnt auch an Universitäten und Fachhochschulen eine gewisse Unübersichtlichkeit: Offizielle Anerkennung und Titelschutz bestehen nur für die Weiterbildungs-Master (MAS) und nur in der Schweiz. Zertifikate und Diplome (CAS, DAS) unterliegen keinem eidg. Reglement. Daneben existiert eine Vielzahl an Abschlüssen ohne offizielle Anerkennung. Sie machen die Weiterbildungslandschaft erst zum Dschungel. Hier gilt es genau hinzuschauen, welchen Rückhalt sie in der Wirtschaft geniessen.
«Alle Titel tönen gut, aber ...».
Viele Weiterbildungen werden direkt von Verbänden oder Branchenorganisationen getragen, z.B. Sachbearbeiter oder Zertifikatslehrgänge. Die Wirtschaft definiert somit ihre Anforderungen selbst. Die Qualifikationen verbandsgetragener Weiterbildungen werden darum in der Praxis verstanden – ein entscheidender Vorteil, auch ohne staatliche Anerkennung. Rein schulischen Abschlüssen dagegen fehlt diese institutionalisierte Abstützung in der Praxis. Hauseigene Titel klingen zwar oft überzeugend. Nur nützt das wenig, wenn das Qualifikationsprofil unscharf und der Titel auf dem Markt unbekannt ist – beides durchaus Gründe, warum aus einer Weiterbildungsinvestition Enttäuschung statt Rendite resultieren kann. Eine bessere Lesbarkeit und Vergleichbarkeit von Abschlüssen, mehr Transparenz und Durchlässigkeit sind Ziele, die auch bei den derzeit laufenden Vorarbeiten für ein Weiterbildungsgesetz des Bundes verfolgt werden sollen. Eine neue «Bildungs-Regulierung» braucht die berufliche Weiterbildung allerdings nicht. Mehr Transparenz heisst hier nicht weniger, sondern besserer Markt.
Grenzen überwinden …
Vordringlich ist eine breitere Anerkennung der Schweizer Berufsabschlüsse der Höheren Berufsbildung: Die Globalisierung der Wirtschaft bringt auch eine Internationalisierung der Bildungslandschaft mit sich, doch findet diese bislang weitgehend unter Ausblendung der dualen Berufsbildung statt, welche die Schweiz prägt: Bologna ist in aller Munde, der Kopenhagen-Prozess (das «Bologna der Berufsbildung») ist über einen kleinen Expertenkreis hinaus kaum bekannt. Ähnlich ergeht es den Schweizer Berufsabschlüssen selbst: Vor allem die Höhere Berufsbildung steht vor der Herausforderung, sich in der Konkurrenz mit den Hochschulen und im internationalen Umfeld zu behaupten, um nicht unter Wert gelesen zu werden. Wie soll heute ein amerikanischer Manager verstehen, dass z.B. ein eidg. dipl. Experte in Rechnungslegung und Controlling einen Abschluss auf Meister-, sprich Master-Niveau hat? Erste Hürde ist dabei die Landesgrenze: Eine hochwertige betriebliche Berufsbildung wie in der Schweiz existiert nur in wenigen Staaten. Vor allem aber kennt kein anderes Land ein vergleichbares System praxisbasierter höherer Bildung. Weil in den allermeisten Ländern höhere Qualifikationen nur akademisch erworben werden, wird die Qualität der Schweizer Berufsabschlüsse oft verkannt.
… und Übersetzbarkeit schaffen.
Der akademischen Welt sind auch in der Schweiz die Qualitäten der (Höheren) Berufsbildung alles andere als vertraut. Diese zweite, grundsätzlichere Hürde führt darum auch auf dem heimischen Markt zu Benachteiligungen: Gerade in multinationalen Konzernen fällt immer häufiger ein akademisch geprägtes Management die Personalentscheide. Wasnicht den Titel Bachelor oder Master trägt, ist für sie nichts wert. Zur Stärkung von Schweizer Berufsleuten erweist sich darum die «Übersetzungsarbeit» als zentral. Hier zeigt sich nun, dass die Bewertung berufspraktisch erworbener Kompetenzen im Vergleich zu schulischer Bildung in den Kinderschuhen steckt – und bislang zu Ungunsten der Berufsbildung ausfällt. Dieser Schieflage können die laufenden Bestrebungen im Rahmen des «Kopenhagen-Prozesses» entgegenwirken,
alle Bildungsabschlüsse – berufliche wie akademische – in einen einheitlichen Qualifikationsrahmen einzubinden. Dabei muss die Idee im Vordergrund stehen, dass zählt, was jemand kann – und nicht, wo und wie er sich die Kompetenz erworben hat. Dass Titel Leute machen, soll auch für unsere bewährte Berufsbildung Gültigkeit behalten.
Das liebe Geld.
Die beste – auch die anerkannteste – Bildung nützt jedoch nichts, wenn sie nicht nachgefragt wird.
Hier spielen auch die Kosten eine Rolle. Im Gegensatz zur akademischen ist die berufliche Bildung in der Schweiz weitgehend privat finanziert. Qualitativ hochwertige Bildungsgänge sind darum für die Kundschaft kostspielig (umgekehrt heisst teuer aber nicht automatisch gut!). Eine stärkere öffentliche Mitfinanzierung anerkannter Formen der Höheren Berufsbildung drängt sich darum auf – ebenso wie die gezielte Förderung von Menschen am anderen Ende der Bildungsskala: Wer heute nicht richtig lesen und schreiben oder mit dem Computer umgehen kann, hat auf dem Arbeitsmarkt längerfristig kaum noch Chancen. Eine breite Bildungsoffensive bedeutet darum zwingend zweierlei: die Förderung von Grundkompetenzen als vorsorgende Sozialpolitik und die Stärkung hochstehender Weiterbildung als weitsichtige Wirtschaftspolitik.
Was streben «Bologna» und «Kopenhagen» an?
Die Bologna-Reform zielt auf die Verwirklichung eines wettbewerbsfähigen und dynamischen
Hochschul- und Forschungsraums in Europa. Kernpunkte der Reform sind das zweistufige Studiensystem mit Bachelor als Erst- und Master als Zweitabschluss sowie die Einführung des Leistungspunktesystems ECTS für den gesamten Hochschulbereich zur Förderung von Transparenz und Mobilität.
Der Kopenhagen-Prozess ist eine arbeitsmarktorientierte Strategie der EU. Sie soll die Qualität und Attraktivität der Berufsbildung steigern sowie die Mobilität fördern. Diese Ziele werden durch die Vergleichbarkeit, Durchlässigkeit und Transparenz von Qualifikationen angestrebt. Zu den wichtigsten Umsetzungsinstrumenten zählen der Europäische Qualifikationsrahmen (EQF) und das Europäische Leistungspunktesystem für Berufs- und Weiterbildung (ECVET):
> Mit dem ECVET (European Credit system for Vocational Education and Training) wird ein Leistungspunktesystem für die Berufs- und Weiterbildung etabliert. Im Gegensatz zum ECTS misst es den Output von Lernen. Es soll Lernergebnisse messbar machen – egal ob schulisch oder praxisbasiert erworben: Von Interesse ist, was jemand wirklich kann. Die praktische Umsetzung ist noch nicht geklärt und wird derzeit in einzelnen Ländern getestet.
> Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQF: European Qualification Framework) dient dem länderübergreifenden Vergleich von nationalen Qualifikationen. Seine acht Niveaus umfassen sämtliche Abschlüsse von Ende Grundschule bis zur höchsten Stufe akademischer oder beruflicher Aus- und Weiterbildung. Dieser Vergleich ermöglicht Lernenden, Arbeitgebern, Behörden und Ausbildungsstätten, Qualifikationen aus anderen Ländern richtig einzuschätzen und mit Qualifikationen aus dem Heimmarkt zu vergleichen. Für die internationale Anerkennung der Schweizer Berufsabschlüsse ist ein solches «Übersetzungssystem» zentral.
Ausführliches Glossar: www.kvschweiz.ch/Bildung/Publikationen
Dieser Beitrag erschien in "Bildungsmarkt Schweiz 2011", einer Sonderpublikation der Zeitschrift ORGANISATOR
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Dieser Artikel erschien im 'SCROGGIN-career' Ausgabe 11 - 2013.
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